Selbsthilfegruppe für Protagonist*innen Teil 3: seelische Knackpunkte

Header Steffi Frei Selbsthilfegruppe

Vorhang auf für das dritte Treffen der Selbsthilfegruppe aka den vollen Seelenstriptease meiner Protagonist:innen

Beim heutigen und vorerst letzten Treffen der Selbsthilfegruppe meiner gebeutelten Protagonist:innen geht es ans Eingemachte. Ich habe sie angeregt über ihre seelischen Knackunkte zu sprechen, also darüber, wo es so richtig drückt und schmerzt. Und puh, ich sag es euch, das ist harter Tobak. Du hast die letzten beiden Treffen verpasst? Hier gehts es zum ersten Selbsthilfegruppentreffen (dem Kennenlernen) und hier zum zweiten Selbsthilfegruppentreffen (dem Gespräch über Eltern-Probleme).

An dem heutigen Treffen nehmen teil: Sera aus Das Schicksal der Fearane; Milena, Rico und Vic aus In den Farben der Finsternis; Rayana aus Rayana und die Sonnenkinder von Sol-Dhana sowie Freyra und Leandro aus Myzinthias Rache. Aus Jugendschutzgründen nimmt Finéra aus Das Schicksal der Fearane diesmal aufgrund der schwere der Themen und ihres jungen Alters von fünfzehn Sommern nicht teil!

Bevor es losgeht: Bei dieser Themenreihe handelt es sich um eine humoristische Aufbereitung und eine Möglichkeit, meine Protagonist*innen mal auf eine andere Weise als im gewohnten Buchformat kennenzulernen. Die Verwendung einer Selbsthilfegruppe als Setting ist hier mit einem Augenzwinkern zu verstehen, was keineswegs als Abwertung oder Verunglimpfung dieser wichtigen Art der Hilsangebote zu verstehen ist! Ich nehme psychische Erkrankungen sehr ernst und behandele sie auch dementsprechend in meinen Büchern.

Content Notes

Verlust von Angehörigen, Rassismuserfahrungen, Tod, Gewalt und Missbrauch, Autounfall, Trauma, Selbstverletung/Dermatillomanie

Mitschnitt Treffen 3: seelische Knackpunkte

Sera (wirkt gedanklich ganz woanders): Ich kann nicht sagen, dass mich etwas in meinem Leben stark betrübt hätte, bevor es zu diesem Anschlag kam und meine Mutter getötet wurde. Seit mein Geleit und ich jedoch zu dieser Reise aufgebrochen sind, fühle ich mich beständig … überfordert, bevormundet und schrecklich unzulänglich. Ich drohe mich dabei zu verlieren. Es mag im Vergleich zum Verlust meiner Mutter nichtig erscheinen, aber es ist vor allem meine plötzliche Unfreiheit, die mich belastet. Erst jetzt merke ich, wie viele Dinge mir zusetzen, denen ich früher einfach intuitiv aus dem Weg gegangen bin. Ich habe die Gegenwart von Tieren, der meiner Mitfearane vorgezogen, ich bin Konflikten stets aus dem Weg gegangen, habe vor mich hingeträumt und mich auf den Halt durch meinen Seelenverwandten Fero verlassen. Mir war nicht bewusst, wie … zerbrechlich meine Seele im Grunde ist. Nun spüre ich die täglichen Erschütterungen, denen sie ausgesetzt ist, und ich fürchte … noch ehe ich mein Schicksal vollauf erfüllt habe, wird sie bersten …

(Eine unheilvolle Stille breitet sich im Raum aus.)

Sera (scheint unvermittelt im Hier und jetzt anzukommen und schaut in die Runde): Oh, entschuldigt, ich war nur … es ist bloß ein Gefühl. Dieser Druck belastet mich sehr. Bitte, fahrt fort. (Sie bedeutet Milena neben sich, das Wort zu ergreifen.)

Milena (sieht unbehaglich drein, ihre Finger zucken immer in Richtung ihres Unterarmes, über den sich rote Striemen ziehen): Na ja … wie ich schon beim ersten Treffen sagte, ist das hier nicht meine erste Gruppentherapie – oder überhaupt Therapie Ich hab schon so einige hinter mir. Trotzdem bin ich nicht sonderlich gut darin. Meine Schwester Mellie meint, ich hab einen Knacks und vermutlich liegt sie damit nicht ganz falsch. Es ist so, dass (holt tief Luft, ehe sie weiterspricht) ich einen Unfall hatte. Autounfall. Mit 16. Ich will jetzt nicht über die genauen Umstände reden oder darüber, welche Folgen dieser für andere hatte … Jedenfalls war es ziemlich heftig und ich lag eine Zeit lang im Koma und danach … (verstummt, ihre Fingernägel fahren wie mechanisch über die bereits gerötete Haut ihres Armes. Vic schließt ihre Hand um Milenas, hält sie fest. Milena blinzelt.) Ähm, Danke. Also als ich aufgewacht bin, war mein Leben weg, meine Persönlichkeit, meine Erinnerungen. Retrograde Amnesie. Obwohl ich mein Gedächtnis zurückerlangt habe, blieb der Großteil meines Selbst verloren, ich wurde nie wieder die Person, die ich mal war. Ich habe ständig Angst – vor allem Möglichen. Und dann ist da dieser ätzende Kratzdrang, den ich eigentlich im Griff hatte, aber na ja. Wie ich schon sagte, mein Vater … Was mir durch diese beschissene Zeit geholfen hat, war die Kunst. Ich fange am liebsten die Schönheit der Finsternis ein, Skurriles, Düsteres. Dafür habe ich ein Faible. (Lächelt verzückt.) Vermutlich hänge ich deswegen seit Neustem mit Vampiren ab. (Lacht.)

(Vic grinst.)

Milena (atmet tief durch): Ich könnte sicher noch das ein oder andere erzählen, aber … es gibt echt nichts, das ich nicht schon hundertmal mit meiner Therapeutin durchgekaut hätte, also …

Vic: Okay, ähm, dann mach ich mal weiter. (Rutscht auf ihrem Stuhl herum.) Puh, also mein Leben als Mensch war eigentlich gut. Also … klar, es gab Sachen, die liefen nicht so. Es gab da diese rechtsradikale Gruppierung an meiner Uni. Diese Wichser haben im Restaurant meiner Eltern, unserem »Petit Marrakech«, randaliert und Schlimmeres. Aber ich habe dadurch zu einer antifaschistischen Bewegung gefunden, wo ich auch meinen damaligen Freund kennengelernt habe. Also wirklich, ich war glücklich. Bis … ich ihn tot aufgefunden habe. Meinen Pascal. Ich dachte erst, diese Faschos hätten ihn erwischt, aber … dann ist er aufgewacht. Er … hat mich gebissen. Natürlich wusste er nicht, was er da tat, also was mit ihm los ist. Und ich ebenso wenig. Aber na ja … so bin ich gestorben. Er konnte sich nicht zurückhalten. Hat mich bis auf den letzten Tropfen ausgetrunken und damit meine Verwandlung in Gang gesetzt. Und ich denke … das Wiedererwachen war das Traumatischste, was ich je erlebt habe. Ich bin einfach dankbar, dass mich meine alte Ersatzmama Babette gefunden hat. Ohne sie … (Schüttelt den Kopf und setzt ein entschlossenes Lächeln auf.) Es ist gut gegangen. Ja, es ist alles gut.

Rico (sitzt mir verschränkten Armen und finsterer Miene da): Ich habe nichts zu erzählen. Es gab in meinem alten Leben nichts, worüber ich mich hätte beklagen können. Obwohl ich natürlich trotzdem immer mal was zu meckern gefunden habe. Wie es die Menschen machen, wenn es ihnen eigentlich gut geht. Und es ist, wie Vic gesagt hat, über diese Verwandlung, das Erwachen als das hier. (Deutet auf sich selbst und verzieht das Gesicht.) Du stirbst nicht einfach nur … du stirbst doppelt. Und das bei vollem Bewusstsein. Erst krepiert dein Körper, was schon heftig genug ist. Und dann erwachst du wieder, nur um festzustellen, dass dein gesamtes Leben, alles, was dich ausgemacht hat, als Nächstes wegstirbt. Ich war noch – oder wieder – da und trotzdem konnte ich nicht zurück zu der Frau, die ich geliebt habe. Ich hab es versucht, aber ich … wie ich schon sagte, ich bin nicht gut mit dem Blutdurst klargekommen. Ich hab mich darin verloren, es kann wie eine Sucht sein. Ich habe Dinge getan … mit denen ich nun eine verfluchte Ewigkeit zurechtkommen muss. Also wenn jemand Bedauern verdient, dann all die Menschen, die ich auf dem Gewissen oder im Stich gelassen habe. Ich jedenfalls nicht. Mehr habe ich nicht zu sagen.

Milena (murmelt mitfühlend): Ach, Rico …

Rayana (nestelt an ihrem Schwertgurt herum, in dem diesmal kein hölzernes Übungsschwert steckt, und rückt leicht von Rico ab): Also … was hinter mir liegt, ist eigentlich nicht wichtig, weil ich mich darauf konzentriere, was vor mir liegt: die Sol-Prüfung, bei der ich glänzen muss, um an die Akademie gehen zu können und Soldatin zu werden. Dieser Traum ist es, der mich die harten Tage, die Arbeit und fiesen Strafen im Waisenhaus durchstehen lässt. Na ja, und natürlich Kalux, mein bester Freund. Mit ihm zusammen ist es dort gar nicht so übel. Deshalb sind mir die Reibereien mit den anderen Kindern oder die Sticheleien durch einige Angestellte egal. Ich halte mich am liebsten von ihnen fern, weil ich … Es fällt mir einfach schwer, mit ihnen zurechtzukommen, sie zu verstehen. Die Kinder dort besitzen quasi nichts und wenn sie mehr wollen, müssen sie darum kämpfen. Daher bestehen ständige Rivalitäten. Seit Kalux und ich im Schwertkampf trainieren, kann ich mich wehren, aber ich will nicht gegen die anderen Waisen kämpfen, ich will für eine gute Sache kämpfen. Wie die Soldatin in meinem Märchenbuch, einem meiner wenigen Besitztümer und Andenken an meine Eltern. Das Einzige, wovor ich wirklich Angst habe, ist, bei der Prüfung zu versagen, denn dann verliere ich alles: meinen Traum, meine Zukunft, Kalux, die Chance auf ein besseres Leben. Ich denke nicht, dass ich das … ertragen könnte. (Presst ihre Hände so fest zu Fäusten zusammen, dass die Knöchel weiß hervortreten.)

Freyra (schnaubt): Das klingt ja alles sehr bedauerlich, aber tut mir leid, euch sagen zu müssen, dass eure jämmerlichen Geschichten ein Witz sind gegen meine Vergangenheit. Ich bin sozusagen der feuchte Albtraum aller therapeutischen Heilenden. Ihr habt echt keine Vorstellung davon, wie es auf den Straßen Erydaniens zugeht. Da heißt es: stiehl oder du wirst bestohlen, schlag zu oder du wirst geschlagen, töte oder du wirst getötet. Es hat eine Weile gedauert, bis ich diese Regeln begriffen habe. Es hat viele Schläge, viele Tage der Angst, viele Nächte in Dunkelheit und Einsamkeit, viele Wochen mit leerem Magen gekostet, aber was soll ich sagen: Das Leben auf der Straße war ein hervorragender Lehrmeister. Ich habe gelernt, schneller zu rennen, schneller zuzugreifen, schneller zuzuschlagen und wenn nötig: schneller zu töten. (Zuckt betont gleichgültig mit den Schultern.) So habe ich überlebt. Auch wenn es mich jeden Tag Tribut kostet … oder besser gesagt: jede Nacht. In meinen Träumen. Sie alle suchen mich heim … die, die mich misshandelt haben; die, die ich getötet habe; und am schlimmsten die, die mich verraten haben. (Ihre Finger krallen sich um das Amulett an ihrem Hals, aus dem schwarzer Rauch aufsteigt und wie ein Finger zärtlich über ihre Wange streicht. Es entlockt ihr den Anflug eines Lächelns.) Na ja, aber zum Glück habe ich mein Seelenheil gefunden. (Grinst spöttisch.) Ein Pfeifenkopf davon und ich schlummere sanft wie ein zufriedener Säugling. Das ist alles, was ich brauche: meine Rauschblüten, meine Freiheit und meinen kleinen Begleiter. (Wieder schmiegen sich ihre Finger, um den Onyx-Anhänger an ihrem Hals. Der daraus entweichende Rauch verdichtet sich zur schattenhaften Silhouette eines kleinen Drachen.) Und niemanden sonst! Wer sich zu nah heranwagt … (zieht trotz des heutigen Waffenverbotes ein verstecktes Stilett aus ihrem Stiefel und zieht vielsagend die Augenbrauen hoch.)

Leandro (schüttelt befremdet den Kopf): Also das … ich möchte mich von dem Betragen meiner Reisebegleiterin ausdrücklich distanzieren. Die Not zwingt mich zu diesem Geleit. Ich halte es keineswegs für zielführend, die eigenen Probleme mit Rauschmitteln zu bekämpfen oder gar mittels Waffengewalt zu lösen.

Freyra (zischt): Das liegt daran, dass du keine echten Probleme hast!

Leandro: Jetzt fängst du damit wieder an. Ich bin mir meiner privilegierten Herkunft und den damit einhergehenden Begünstigungen durchaus bewusst. Das bedeutet jedoch noch lange nicht, dass mein Leben stets nur leicht war. Ich stehe seit jeher unter enormen Druck, meine Eltern hatten hohe Erwartungen an mich, die ich kaum zu erfüllen vermochte. Während meine Schwester nur so sprühte vor Pflichtbewusstsein, strategischem Geschick und Diplomatie. Weswegen sie jetzt an meiner statt unsere Grafschaft verwaltet. Und sie vermisst mein Beisein sicher nicht im Mindesten. Mal davon abgesehen, dass ich unter der ständigen Angst lebe, Opfer meines Fluches zu werden. Ihr müsst wissen, meine Lebenskraft ist an diesen nichtigen Ring hier gebunden. Verliere ich ihn, altere ich in rasender Geschwindigkeit. Und dieses Los verdanke ich einer Frau, die ich einmal sehr geliebt habe.

Freyra (murmelt): Fast so sehr, wie die andere.

Leandro (errötet und rutscht unbehaglich auf dem Stuhl herum): Nun, ich bin gewiss nicht stolz drauf, wie die Dinge gelaufen sind. Nichtsdestotrotz ist der Fluch eine ständige Belastung. Seit Jahren ziehe ich umher, auf der Suche nach einer magiekundigen Person, die mich davon befreien kann. Und stattdessen laufe ich ausgerechnet dieser Diebin in die Arme, die nichts Besseres zu tun hat als mir den Ring zu stehlen.

Freyra: Immerhin hab ich ihn dir wiedergegeben.

Leandro: Erst nachdem ich dich aus dem Kerker geholt habe!

Stimme aus dem Off: Okay, vielen Dank für eure offenen und berührenden Beiträge. Ich bin ehrlich gesagt nicht sicher, ob wir mit diesen drei Gesprächsrunden im therapeutischen Sinne ein sinnvolles Ziel erreicht haben, aber ich denke, für unsere interessierte Leser:innenschaft war es zumindest sehr erhellend (murmelt kaum hörbar:) und unterhaltsam.

Puh, damit sind wir am Ende der Selbsthilfegruppe angelangt und ich muss sagen, ich bin froh, dass die komplette Eskalation ausgeblieben ist. Ob es künftig weitere Treffen geben wird? Mal sehen. Falls du Themenvorschläge hast oder mir einfach ein Feedback geben möchtest, nutze gern die Kommentarfunktion unten oder schreib mir an kontakt@steffifrei.de



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