In den Farben der Finsternis: Blutpunschrot, Palmengrün und Lamettagold (“Bloody Christmas”-Shortstory)

Eine "Bloody Christmas" Shortstory von Steffi Frei

von Steffi Frei

Um dir das Weihnachtsfest zu versüßen, habe ich heute eine doch erstaunlich besinnliche “Bloody Christmas”-Shortstory mit meinen blutdürstigen Protagonist*innen aus In den Farben der Finsternis für dich. Einige Anspielungen wirst du am besten verstehen, wenn du die Reihe bereits kennst, aber auch für Neulinge ist der kleine Story-Snack ein guter Einblick in den Stil der Bücher. Übrigens sind alle drei Ebooks der Reihe noch zum 01.01.2023 im Angebot 😉

Ich wünsche dir viel Spaß beim Lesen und besinnliche Feiertage im Kreise deiner Liebsten.


Milena

Konzentriert verwische ich den tiefschwarzen Kohlenstaub auf dem knochenweißen Papier, bis ich mit dem Verlauf der Schatten zufrieden bin.
»Was ist das?«, fragt Rico, der neben mir auf der Couch sitzt und sich rüberbeugt, um einen Blick auf mein Kunstwerk zu werfen.
»Krampus«, antworte ich. »Der finstere Gegenpart zum Nikolaus, der kommt, um die unartigen Kinder zu bestrafen.« Ich lasse es unheilvoll klingen und ziehe eine psychomäßige Grimasse, doch Rico bemerkt es gar nicht.
Er betrachtet stirnrunzelnd den gehörnten Dämon mit den Ziegenbeinen und der ultralangen Gene-Simmons-Zunge. »Fies«, urteilt er knapp.
»Ach ja«, wirft Vic ein, die auf der Sofakante balanciert und die deckenhohe Yucca-Palme mit goldglänzendem Lametta behängt. »Darüber hab ich mal ’nen Film gesehen – hey, vielleicht können wir uns den später reinziehen.«
»Wie besinnlich«, spöttelt Rico.
Vic gackert und gerät auf der Sofakante ins Wanken. »Huch!«
Ein Schauer aus goldigem Lametta rieselt herab und landet genau auf Ricos Kopf.
»Fuck, muss das sein?«, knurrt er.
Ich breche in Gelächter aus und Vic fällt vor lautern Gackern endgültig von der Kante. »Wie ein richtiger Rauscheengel«, prustet sie und deutet vom Boden aus auf Ricos mit Goldkräuseln geschmücktes Haupt.
Stöhnend wischt er sich das Lametta vom Kopf und zeigt ihr den Mittelfinger.
»Ey«, rufe ich immer noch kichernd. »Heute wollten wir uns doch alle benehmen!«
»Genau!« Vic stemmt die Hände in die Hüften. »Das soll ein besinnlicher Abend werden!«
»Dann beschränk dich mit deinem verdammten Dekorierwahn gefälligst auf das Haus und halt mich da raus. Sieht schlimm genug hier aus«, murrt Rico.
Ich lasse den Blick schweifen. Er hat nicht ganz Unrecht, Vic hat es vielleicht minimal übertrieben mit dem Lametta, den buntblinkenden Figürchen, den ungefähr hundert verschiedenen Duftkerzen. Nicht zu vergessen den etwa dreimal so vielen Lichterketten in unterschiedlichen Farben, die sich entlang jeder Wand und über jedes Möbelstück winden. Gut, dass Vampire weder unter Epilepsie noch unter Migräne leiden können, denn sonst schwebten wir alle in akuter Gefahr eines Anfalles. Das Herzstück dieses Deko-Weihnachtswunders bildet die Palme mit ihrem blinkenden, glitzernden Korsett, bei deren Anblick ich wieder richtig loslache.
Ich habe Vics Vorschlag, zusammen Weihnachten zu feiern, nur unter der Bedingung zugestimmt, dass wir uns keinen echten Tannenbaum ins Haus holen. Ich hasse diese Tradition! Es ergibt einfach null Sinn, einen Baum zu töten und sich von ihm die ganze Bude vollnadeln zu lassen, nur um ihn dann wenige Wochen später zu entsorgen. Nein, dazu bin ich nicht bereit. Und da sich auch niemand für einen Plastikbaum erwärmen konnte, hatte ich das Thema für abgehakt gehalten, bis Vic vorgestern strahlend mit der Palme im Arm hereinmarschiert kam. Sie gibt einen etwas unkonventionellen Weihnachtsbaum ab, aber das ist wohl alles an diesem Weihnachtsfest – meinem ersten als Vampirin.
Vic wirft einen Blick auf die Uhr ihres Smartphones und klatscht in die Hände. »Okay, die Zeit läuft. Mil, kümmerst du dich um den Blutpunsch? Ich muss mich noch umziehen. Und Rico, du könntest in der Zwischenzeit mal an deinem Gesichtsausdruck arbeiten, du siehst so besinnlich aus wie ein Pitbull, der gerade ein Kind verspeist hat.«
»Das ist ein mieses Vorurteil gegenüber Pitbulls«, halte ich dagegen, doch Vic ist schon aus dem Zimmer geflitzt.
Rico verdreht die Augen. »Ich hasse Weihnachten!«
»Wer nicht. Aber Vic hat sich so gewünscht, dass wir zusammen feiern. Also gib dir einen Ruck!«
Er sieht mich gequält an, daher beuge ich mich vor und küsse ihn. »Freust du dich nicht einmal auf die Geschenke?«, raune ich ihm ins Ohr.
Er schnaubt, grinst nun jedoch. »Wenn ich das bekomme, was ich mir wünsche …«
Ich lächele geheimnisvoll. »Wer weiß.«
Dann verschwinde ich rasch in der Küche, um mich wie gewünscht um den Punsch zu kümmern. Ich schnappe mir einen ganzen Stapel Blutbeutel aus dem Kühlschrank, fülle sie in die riesige Kasserolle, in der normale Menschen vermutlich ihren Weihnachtsbraten zubereiten würden, und kippe großzügig Rum hinzu. Während das Blutgemisch leicht köchelt, mische ich Pi mal Daumen die gewünschte Menge Nelken-, Zimt-, Ingwer- und Kardamom-Pulver unter. Das Aroma, das mir nun aus dem Topf entgegenweht, frisst sich in meine Nasenschleimhäute. Ups, das war vielleicht ein bisschen viel für die empfindlichen Vampirnäschen.
Doch ich komme nicht mehr dazu, den Fehler wiedergutzumachen, da es an der Tür klingelt. »Ich geh schon!«, rufe ich und husche schnell zum Eingang, um die Haustür aufzureißen.
»S Rozhdestvom«, skandieren Wlad und Miro gleichzeitig. Gigant, der gewohnheitsmäßig wie ein stummer Wächter neben ihnen aufragt, brummt bloß etwas Unverständliches.
»Frohe Weihnachten«, erwidere ich, in der Annahme das sie mir selbiges gewünscht haben. Ich sollte wirklich unbedingt mal Russisch lernen, damit mir Wlad keinen Unfug mehr erzählen kann.
Mein breites Grinsen friert ein, als ich die verloren wirkende Gestalt hinter ihnen entdecke. Eindeutig ein Mensch, der mit glasigem Blick durch mich hindurchstarrt. »Wlad, was soll das? Wir haben doch gesagt: Heute ohne Lebendnahrung!«
Er verdreht die Augen und scheucht den verwirrten jungen Mann fort. »Du hast es gehört. Verschwinde! Genieß das Weihnachtsfest mit deiner Familie!«
Miro wirft mir einen entschuldigenden Blick zu. »Ich habe wirklich versucht, ihn davon abzuhalten, aber er konnte es nicht lassen.«
Ich winke ab und trete zur Seite, um die drei einzulassen. Miro umarmt mich kurz, Gigant tätschelt mir die Schulter und Wlad küsst mich auf die Stirn, ehe sie sich ins Wohnzimmer aufmachen.
»Ich hole den Punsch«, informiere ich sie.
Mit einem vollen Tablett kehre ich ins Wohnzimmer zurück, aus dem mir nun Last Christmas entgegenschallt. Ich verdrehe die Augen und tackere mir ein Grinsen ins Gesicht, bevor ich eintrete.
Rico sieht aus, als würde er sich am liebsten einen Pflock ins Herz jagen. Miro macht gute Miene zum bösen Spiel, Gigants Gesichtsausdruck ist so unergründlich wie eh und je und Wlad fläzt sich träge auf einem Sessel, beide Zeigefinger tief in den Ohren versenkt.
Er greift als Erster beim Punsch zu und kippt den Becher in einem Zug runter. Sein Gesicht verzieht sich zu einer gequälten Maske, was mich darin bestätigt, das ich die Gewürze nicht optimal dosiert habe.
Miro stößt ihm den Ellbogen in die Seite, nippt behutsam an seiner Tasse und nickt mit einem gepressten Lächeln. »Sehr lecker, Milena«, bringt er etwas erstickt hervor. Rico lacht und stellt seinen Punsch unangetastet auf dem Wohnzimmertisch ab. Nur Gigant trinkt das flüssige Desaster mit stoischer Ausdruckslosigkeit.
Ich wage einen vorsichtigen Schluck. Blut und Alkohol strömen mir sogleich durch die Adern und lösen einen wohligen Schauer in mir aus, aber die Gewürzmischung ätzt mir dermaßen die Geschmacksnerven weg, dass ich den angenehmen Effekt kaum genießen kann. Mist!
»Merry Christmas!« Vic flattert ins Zimmer – wortwörtlich. An ihrem Rücken schwingen transparentsilbrige Engelsflügel und ihre Afromähne schmückt ein Haarreif mit goldenem Heiligenschein. Der übergroße Strickpulli mit Schneemann Olaf und die zerrissene schwarze Strumpfhose irritieren das Gesamtbild zwar etwas, aber sie sieht trotzdem auf ihre eigensinnige Art hinreißend aus.
Und sie wäre ja nicht Vic, wenn sie nicht auch für den Rest von uns ein paar weihnachtliche Accessoires in petto hätte. In den Armen trägt sie noch ein halbes Dutzend Haarreifen, sodass wir kurz danach alle einen auf dem Kopf tragen: Rico bekommt Rentierhörner, Miro einen Mistelzweig, Wlad Teufelshörner und ich zwei Eiskristalle, die an zwei Sprungfedern fröhlich auf und ab hüpfen, sobald ich mich bewege.
»Perfekt«, befindet Vic und strahlt zufrieden. »Fehlt nur noch einer …« Sie zaubert ein goldenes Glückchen unter dem Pulli hervor und klingelt damit wild herum.
Der durchdringende Klang lässt uns mit unserem Supergehör kollektiv zusammenzucken.
»Ho, ho, ho.« Lugh stapft in voller Weihnachtsmann-Montur ins Zimmer und reibt sich den dickgepolsterten Bauch.
Ich pruste los und Vic haut sich vor lauter Lachen auf die Schenkel.
Selbst Ricos Mundwinkel zucken nach oben. Kopfschüttelnd schlägt er sich die Hand vor die Stirn. »Oh Mann, Lugh. Du lässt dir von Vic echt alles aufschwatzen.«
Lugh bedenkt ihn mit einem tadelnden Blick, bleibt aber unbeirrt in seiner Rolle. »Wart ihr denn auch alle artig?«, fragt er mit tief verstellter Stimme.
»Da muss ich dich leider enttäuschen«, meint Wlad.
»Rute raus!«, brüllt Vic.
Stattdessen zieht Lugh einen großen Sack von den Schultern.
»Geschenke, Geschenke«, rufe ich verzückt und klatsche in die Hände.
»Aber nur für die Unartigen!«, fordert Wlad.
»Also für alle«, wirft Vic ein und gackert.
Und tatsächlich überreicht Lugh jedem von uns ein kleines Päckchen. Vic hat uns extra vorher alle gezwungen, einen Zettel fürs Wichteln ziehen und dem Gezogenen ein Geschenk zu besorgen. Ich bin sehr gespannt, von wem meines stammt.
Wlads breites Grinsen und die Art, wie er mir zuzwinkert, sind wohl Antwort genug. Und es ist – eine Prinzessinnenkrone. Ich verdrehe die Augen. »Dein Ernst?« Ich werfe ihm einen strafenden Blick zu.
»Für meine Printsessa nur das Beste!«, verkündet er zufrieden grinsend. »Weißgold mit blutroten Swarovski-Kristallen.«
Ich schüttele den Kopf. Trotzdem drapiere ich das glänzende Teil irgendwie zwischen den Haarreifen und meinen Messie-Bun.
Miro freut sich sehr über die künstlichen Vampirzähne, die ich ihm besorgt habe. Schließlich hat die Blutgräfin ihm seine ja geraubt. Damit wird er zwar niemanden aussaugen können, aber immerhin sehen sie täuschend echt aus. Er hört gar nicht mehr auf, zu grinsen und seine neuen Beißer zu präsentieren.
Rico bekommt von Vic einen schwarzen Pulli mit dem Grinch drauf. Darüber steht: Fuck, es ist schon wieder Weihnachten! Natürlich muss er ihn gleich überziehen, da sind wir uns alle einig.
»Verblüffende Ähnlichkeit«, bemerkt Wlad und deutet erst auf die Grinch-Visage, dann auf Ricos grimmige Miene und ich muss ihm lachend Recht geben.
Nun ärgert Rico sich darüber, dass Wlad das Geschenk so gut gefällt, dass er ihm besorgt hat: eine schicke Glasflasche in Totenkopfform für seine Bloody Marishka. Gigant bekommt von Miro einen flauschigen Teddybären, der leise brummelt, wenn man auf seinen Bauch drückt. Obwohl Gigant alles andere als flauschig ist, sind die beiden ein richtiges Dream-Team. Lugh erhält wiederum von Gigant einen original irischen Whiskey der Marke Teeling, der unseren Weihnachtsmann in schiere Entzückung versetzt.
Ich schlage vor, ihn in den Punsch zu geben, wofür ich entgeisterte Blicke von Wlad und Lugh ernte.
Vic rastet komplett aus, als sie die Weihnachtsedition von SingStar auspackt, die ihr Lugh geschenkt hat. Wir anderen werfen uns panische Blicke zu, denn uns schwant Böses. Aber sie ist so glücklich und begeistert, dass wir die Konsequenzen wohl alle mehr oder weniger stillschweigend über uns ergehen lassen werden.
Lugh zupft inzwischen etwas unbehaglich an seinem roten Kostüm und dem Rauschebart herum. »In Irland feiern wir ja traditionell das Jul-Fest«, merkt er an.
»Wir haben Dezember, nicht Juli«, wirft Vic ein, die schon begierig die SingStar-CD ins Laufwerk einlegt.
»Jul, nicht Juli«, korrigiere ich sie. »Das ist das Sonnenwendfest, nicht wahr?«, frage ich an Lugh gewandt.
»Auch das würde eher in den Juli passen. Von der Sonne ist Gott sei Dank nicht viel zu sehen«, meint Vic mit einem flüchtigen Blick aus dem Fenster.
»Genau darum geht es«, erklärt Lugh. »Yuletide, wie es bei uns Iren heißt, ist das Fest der Wintersonnenwende, um die Rückkehr der Sonne zu feiern. Traditionell wird es daher am einundzwanzigsten Dezember begangen und läutet die allmähliche Verlängerung der Sonnenstunden ein.«
»Na, wenn das so ist, ist das Fest nichts für uns. Wenn es nach mir ginge, könnte uns die Sonne gestohlen bleiben«, beschließt Vic und dem ist wohl nichts mehr hinzuzufügen. Mit einem Quietschen läutet Vic nun das Herunterladen von SingStar ein und so verbringen wir den Rest des Abends singend vor der Playstation und bescheren Vic damit das größte Weihnachtsgeschenk, das sie sich hätte wünschen können.
Letztlich haben wir es tatsächlich geschafft, den Weihnachtsabend besinnlich oder wenigstens katastrophenfrei zu begehen, und ich muss sagen, mein erstes Weihnachtsfest als Vampirin war ein gelungenes Spektakel im Kreise meiner Liebsten. So könnte es für immer bleiben, die ganze verfluchte Ewigkeit lang. Merry Bloody Christmas, everyone.

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung der Autorin unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
© 2022 Steffi Frei

Illustration (original): L. S. Reinwarth; Bearbeitung: Steffi Frei


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